Man muß denselben Raum gleich zweimal betreten, um sich von Anish Kapoors neuer Arbeit für die Deutsche Guggenheim einen Gesamteindruck zu ermöglichen. Memory ist eine raumfüllende Blase aus rostigem Schiffsstahl, die aus einem bestimmten Punkt der Mauer entspringt und den Raum ungleichmäßig in zwei Hälften teilt.
Interessant ist dabei nicht nur der Blickwinkel, der das Werk jedes Mal aufs Neue offenbart: der erste Anblick überwältigt von der Wucht des stählernen Monstrums, das auf eine Weise (geistig) bezwungen werden muß. Beim zweiten zeigt sich Memory distanziert; zu groß und ungreifbar in seiner Form, als das es jemals ganz erfasst werden kann. Die Mechanismen des eigenen Erinnerungsvermögens scheinen plötzlich spürbar nahe. Memory spiegelt die eigene Erinnerung, wie sie meist ohne weitere Erklärung im (gedanklichen) Raum steht, als wäre sie schon immer da gewesen. Nur das Wissen um ihre Herkunft scheint verloren gegangen.
Diese Deutung lässt sich auch auf andere von Kapoors Skulpturen übertragen, wie Marsyas für die Tate Modern oder Cloud Gate.
Der Künstler definiert den Begriff Raum indem er seine Objekte wie einen Fremdkörper in diesen einsetzt und somit die perfekten Rahmenbedingungen für eine Auseinandersetzung mit dem Raum-Zeit Gefühl steckt. Die Frage, ob sich ein Raum gedanklich überhaupt erschließen lässt und in welchem Verhältnis dazu die Erinnerung steht, wird durch den unerwartet möglichen Einblick in das Cortenstahl-Kunstwerk, für den ein drittes Mal Perspektive und auch Raum gewechselt werden muß, leider größtenteils beantwortet.
Die Spannung und das Mysterium, welche das Werk mit seiner bloßen äußerlichen Form aufzubauen vermag, wird durch die Einsicht in sein „Innenleben“ leider preisgegeben. Wenngleich die Erinnerung in ihrem ureigenen Element stets unfassbar bleibt: ein großes schwarzes Loch, dessen Abgrenzungen entweder ein abruptes Ende nehmen oder Unendlichkeit nur erahnen lassen.
Beim genaueren Beobachten macht sich ein leichter Summerton im nach feuchtem Rost riechenden Leerraum bemerkbar. Vielleicht ein Hinweis auf eine ähnliche Funktion des menschlichen Verarbeitungsprozesses?
Keines der 154 nahtlos ineinander gefügten Teile von Memory gleichen einander in Größe oder Form. Sie verwandeln sich zu symbolischen Fragmenten an Eindrücken und Erlebten, das sich für immer in das Gedächtnis eingebrannt haben. Bei Kapoors Werk gibt es in diesem Fall nicht einmal den Moment des ganzheitlichen Erlebten. Memory spielt mit dem fehlerhaften Mechanismus unserer Erinnerung. Das vergebliche Bemühen, sich an etwas Großes und Vollkommenes zu erinnern, das man glaubt von irgendwo zu kennen.
30. November 2008 – 01. Februar 2009
Deutsche Guggenheim, Unter den Linden 13,
10117 Berlin
www.deutsche-guggenheim.de
Monday, December 15, 2008
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